
Bist du jetzt einer mehr zu dem, den ich kenne? Bin ich jetzt eine mehr als vorher?
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Im Notizbuch steht: „Vor mir am Ufer sitzen Bikini und Neopren mit Schnorchel und Flossen, und unter dem Fels ist ein Zelt aufgebaut. Du schwimmst ans andere Ende der Bucht, rücklings, wie immer, und deine Arme schieben dich weit nach Süden. Ob es dort noch Fische in Schwärmen gibt? Hinten beim Nasenfels verlier ich dich aus den Augen. – Aber da! Du ruderst schon wieder in der Nähe des Strands, mit beiden Armen synchron wie ein Raddampfer.“
Im Notizbuch steht: „Und dort das Paar, das in den Kieseln am Strand steht, – steinalt, in Schwimmanzügen – die ledrige Haut braungebrannt, die Rücken gekrümmt und die Beine. Sie sind zurück vom Tauchgang. Er windet sich mit steifen Schultern nach links und nach rechts, um seine Neoprenhaut loszuwerden. Sie lehnt sich mit Mühe an einen Felsen, und zieht die Flossen aus. Ihre Bewegungen erinnern mich an die Zeitlosigkeit, mit der sich Kleinkinder bewegen, ganz sich selbst verpflichtet und der eigenen Notwendigkeit. – Ein paar Schritte entfernt tauchen junge Schwimmer aus dem Wasser auf, und es sieht so aus, als ob sie noch unendlich viel Zeit hätten, diese zu vertun.“
Herbst
Im Notizbuch steht: „Und als du schon meine Hand suchst, meine Führung, schlendern wir durch die behäbige Stadt, durch die Nebengasse mit den niedrigen Kreuzgewölben, die sich der Arkade entlang spannen, unterteilt durch breite Bögen, die, leicht schräg zu den Fassaden in gedrungene Säulen übergehen. Die Arkade führt uns in sanftem Bogen ins Mittelalter, in die Zeit, in der sie gebaut worden ist. Wir schlendern vorbei an geschlossenen Geschäften und an geschnitzten dunklen Türen, deren Klingelschilder du mit wachem Interesse studierst, und wenn du Namen alter Geschlechter entdeckst, bist du entzückt, als ob du dahinter die Leben erahntest.“
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Im Gericht der Mütter (Stimmen aus dem Totenreich)
Où est ta belle figure, du, In-die-Jahre-Gekommene?
Wo ist deine Frische, wenn dich der Schreck überfällt, und du mit Schmerz davonkommst?
Müde bist du im Abenteuer, müde sogar in der Lust.
Die Augen haben ihren Glanz eingebüsst. Er kehrt nur selten zurück.
Dein Haar bewahrt noch die Farbe langer getrockneter Flechten, doch die Hände sind ohne die Eleganz der Jugend.
Der Stein der Zeit ist zerbrochen an seiner kristallenen Stelle. Der grosse Kiesel mit scharfen Kanten kratzt nun Kerben und Winkel in deine Haut.
In dir aber fliesst der Strom, in dem du ertrinken wirst, wenn du seine Wasser fürchtest.
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Es waren auch deine guten Absichten, die mithalfen meine Wahrheit zu verdecken und das Eigenwillige in vorgestanzte Ideale zu kartieren. Du hast dich um das verlorene Wilde in mir geschlungen und die Haken im Gewebe meines Widerstands geglättet. Und ich rieb mich umso lieber an diesem letzten Aufbäumen, je lebendiger sich meine Verhinderung anfühlte.
Du liebest die Menschen, sagtest du, und die Menschen liebten dich – oder war es umgekehrt? Jedenfalls war dies das Versprechen, das über Jahre zur Leitlinie meiner Erscheinung wurde. Doch spürten die Menschen meine bemühte Liebenswürdigkeit und waren darüber befremdet. Und nun sitze ich zwischen den Stühlen, bin nicht ich und bin nicht nicht ich.
Wenn Sie mit mir ins Gespräch kommen möchten, schreiben Sie mir doch eine e-mail auf: meine.fragen.zum.leben@gmail.com Es würde mich freuen.